Themenschwerpunkt

Scheiße sagt man nicht!

Eine Ausstellung für/über Groß und Klein

Unter dem Motto „Vom Donnerbalken zum WC“ wurde im Themenjahr 2016 ein zentrales Thema der menschlichen Hygiene unter kultur- und sozialgeschichtlichen Aspekten aufbereitet und den Museumsbesucherinnen und -besuchern nahe gebracht. Dem historischen Wandel der Verrichtung der Notdurft und ihrer Örtlichkeiten wurde an konkreten Beispielen im Museumsgelände nachgegangen. Damit sollte zum Nachdenken über heute selbstverständliche Hygienestandards und ihre historischen Voraussetzungen angeregt werden. 

„Und du sollst draußen vor dem Lager einen Platz haben, wohin du zur Notdurft hinausgehst. Und du sollst eine Schaufel haben und wenn du dich draußen setzen willst, sollst du damit graben; und wenn du gesessen hast, sollst du zuscharren, was von dir gegangen ist. […]“ 

(5. Buch Moses, Kapitel 23. Vers 13-15) 

Das Making-of der Ausstellung

Die Leitthesen

Das Tabu: Jeder „macht“ es, keiner spricht darüber
Der alltägliche Gang zur Toilette wird von jeder und jedem anders wahrgenommen. Dabei spielen persönliche Vorstellungen von Scham, Ekel und Intimität eine Rolle. Der Gang „aufs Klo“ ist mit Tabus behaftet, diese können selbst- oder fremdbestimmt sein.

Der Ort: Vom Donnerbalken zur Plasmatoilette
Die moderne Toilette, wie wir sie heute kennen, ist eine sehr junge Erscheinung der Alltagskultur. Sie ist das Ergebnis technologischer Entwicklungen sowie sozialer und kultureller Wandlungsprozesse. Jahrhundertelang mussten sich Menschen mit primitiven Lösungen behelfen, die uns heute hygienisch mangelhaft und kaum vorstellbar erscheinen.

Die Hygiene: „Verlassen Sie diesen Ort, wie Sie ihn vorfinden möchten“ 
Saubere Toiletten sind eine wichtige Voraussetzung unserer täglichen persönlichen Hygiene. Eine geordnete Fäkalentsorgung dient dem Gesundheits- und Umweltschutz. Wagt man den Blick „über den Schüsselrand“, werden in vielen Regionen der Welt mangelhafte Zustände erkennbar.

Ein Rundgang

durch die Ausstellung

Mitten in einem ostwestfälischen Dorf um 1900 wurde ein modernes Bahnhofsklo errichtet. Diese Form der Präsentation mit weiß gefliesten Wänden und Toilettengraffiti in der Ausstellungsscheune war für alle Beteiligten ein Experiment. Ein Team von fünf Illustratoren hatte an vier Tagen die gesamte Ausstellung mit Grafiken und Texten von Hand gestaltet und geschrieben. Alle konnten ihren eigenen Stil in passenden Themenbereichen einfließen lassen. So entstanden Kinderzeichnungen, medizinische Illustrationen, „Wimmelbilder“ und Graffiti. Das vermittelte Wissen war eine Mischung aus wissenschaftlichen Texten, interessanten Fakten und dem ein oder anderen Späßchen. Auch damit wurde die Anmutung einer Bahnhofstoilette wieder aufgegriffen, immerhin sind öffentliche Toiletten ein besonderer Ort der Kommunikation. Dort hinterlassen Menschen persönliche Äußerungen, die von anderen gelesen und nicht selten auch beantwortet, kommentiert oder verbessert werden.

 

Die Einleitung

Betrat man die Sonderausstellung im Paderborner Dorf fielen sofort die bunte Farbgebung und rund zwanzig wild bemalten Töpfchen ins Auge. Im vorderen Bereich standen die Kinder im Vordergrund: Anhand der Themen „Rein in die Windeln – raus aus den Windeln“ wurden soziologische, ökologische und persönliche Aspekte im Umgang mit Windeln und Co. betrachtet. Gerade Kinder begeistern sich für das Thema Toilette. Anhand von Fragen wie „Was hast du in deiner Windel?“ setzten sich die Kinder spielerisch mit dem Thema Sauberkeitserziehung auseinander. An vier Wickelstationen probierten Erwachsene und Kinder generationsübergreifend verschiedene Techniken des Wickelns aus. Ergänzt wurden die Hands-on-Stationen durch Objekte wie historische Wickelbändern, alte und neue Windeln sowie eine Reihe Töpfchen und Kinderstühle aus den vergangenen hundert Jahren. Um der Vielfalt des Themas gerecht zu werden, gab es eine Leseecke mit jeder Menge Literatur zur Sauberkeitserziehung für Groß und Klein. 

Scham muss man sich leisten können

Die Besucherinnen und Besucher wurden immer wieder in der Gegenwart abgeholt und konnten sich, auf verschiedenen modernen Sanitärkeramiken sitzend, mit einer Dia-Schau über Toiletten aus aller Welt beschäftigen. Es war ein besonderes Anliegen, das Thema nicht nur auf Westfalen zu beschränken. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung hat nach wie vor keinen Zugang zu sanitären Anlagen. Was es bedeutet, „in die Büsche“ gehen zu müssen, können wir uns kaum vorstellen, aber vor allem für junge Frauen in Indien kann der Gang zur Toilette ein gefährlicher Spießrutenlauf werden. Dennoch sind Toiletten für die Politik nicht sexy genug und werden in der Entwicklungshilfe oft außer Acht gelassen. Aber es gibt auch viele positive Beispiele von Organisationen, die sich engagieren und Lösungen für Trockentoiletten oder Hygienemaßnahmen anbieten. Das Recht auf sanitäre Grundversorgung ist gemeinsam mit dem Recht auf Wasser seit 2008 ein Grundrecht. . 

Das Zusammenspiel von Technik und Hygiene

Von der Gegenwart ging es  zurück in die Vergangenheit. Die ältesten Objekte der Sonderausstellung waren archäologische Kloakenfunde aus der Stadt Höxter aus dem 13. Jahrhundert. Neben alltäglichen Gegenständen wie Kugeltöpfen oder Gläsern konnten zwei kostbare Schmuckstücke aus Gold bestaunt werden. Einige Zitate an den Wänden reichten noch weiter zurück bis zur Bibel und dem antiken Griechenland, denn auch dort gab es bereits Toilettengraffiti. 

In dem „Bahnhofsklo“  standen auf der einen Seite die Geschichte der Technisierung, die Kanalisation und die technologische Entwicklung der Toilette im Mittelpunkt. In drei Klokabinen waren Exponate aus verschiedenen Zeitschnitten: vom Torfstreuklosett bis zum modernen Dusch-WC. Drei Wandvitrinen an der gegenüberliegenden Seite, die an Spiegel erinnerten, widmeten sich der Geschichte der persönlichen Hygiene. Unhygienische Verhältnisse waren und sind bis heute der Grund vieler Infektionskrankheiten. Die Einführung der Kanalisation bedeutete in der Medizingeschichte einen großen Sprung, vor allem in der Bekämpfung der Cholera.  

Um sich den Gang zur Toilette zu erleichtern, hat sich der Mensch Hilfsmittel zunutze gemacht: Ein Nachttopf unter dem Bett oder Nacht- und Leibstühle, im Volksmund auch „Kackstühle“ genannt, waren jahrhundertelang die einzigen Hilfsmittel im Schlafzimmer, um nachts oder im Krankheitsfall den weiten Weg zum Abort im Hof zu vermeiden. Nur eine kleine Auswahl von derartigen Exponaten aus der reichhaltigen Sammlung konnte in der Ausstellung gezeigt werden. Ein Armlehnstuhl aus Lindenholz von 1807, der nachträglich zum Toilettenstuhl umgebaut worden war, ein Sessel mit „Ledertuchpolster“ (Lederimitat) und eine Toilettenkommode verrieten auf den ersten Blick nicht ihre Funktion als Leibstühle zur nächtlichen Erleichterung. Das Verstecken der Toilette deutet auf ein zunehmendes Schamempfinden der Menschen hin. Sei es nun aufgrund der Demokratisierung der Gesellschaft oder der stärker werdenden Individualisierung, mittlerweile ist die Toilette ein Ort des Tabus geworden.

Das Tabu

In einem abgetrennten Raum der Ausstellung, der nur spärlich mit Schwarzlicht beleuchtet war,  beschäftigten wir uns mit Aspekten des Themas,  die noch stärker tabuisiert sind. Aussagen zu Drogen, Sex, Lust und Verfolgung waren durch Gucklöcher zu lesen. Ein Kondomautomat stand für das Thema „Toilette und Sex“ und eine mit Graffiti überzogene Tür einer „Klappe“, einer öffentlichen Toilette, die als Treffpunkt für Homosexuelle diente, eine Leihgabe aus dem Schwulen Museum* in Berlin,  erinnerte eindringlich an die Verfolgung Homosexueller noch in der jüngsten Vergangenheit.  

Grenzen der Autonomie

Ein weiterer Aspekt, der von vielen Menschen ebenfalls tabuisiert oder zumindest verdrängt wird,  kam in einem hell gestrichenen Raum daneben zur Sprache: Dort redeten wir offen über das Thema „Grenzen der Autonomie“ im Krankheits- oder Pflegefall. Was ist, wenn man nicht mehr alleine auf die Toilette gehen kann? Sowohl Patienten als auch Pfleger werden täglich damit konfrontiert. Um das Thema auch auf persönlicher Ebene den Besuchern näher zu bringen, zeigten wir mit dem Fotografen Werner Krüper aus Steinhagen Bilder von Betroffenen, die ganz offen sagen: „Ich lebe mit einem Stoma- oder Urinbeutel, aber das ist nicht schlimm. Es geht mir trotzdem gut.“ Ein offener Umgang mit Krankheit und Behinderung ist wichtig. Denn nicht erst durch eine Behinderung oder Pflegestufe erfahren wir, wie es ist nicht mehr alleine auf Toilette zu gehen können. Jeder der schon mal an einer Darmerkrankung litt, weiß wie wichtig es sein kann ungehindert zur Toilette zu müssen. 

Blick in die Geländeausstellung

Bei über 120 Gebäuden im Gelände des Museums sind darunter auch viele Toiletten und Themen der Hygienekultur. Um diese sichtbar zu machen wurden 12 Orte ausgewählt, die mit übergroßen Klappaufstellern markiert wurden. 

Eine der am häufigsten gestellten Fragen ist: Wie kommt das Herz in die Tür? 

An dem Abort am Gräftenhof konnten die Besuchenden sich an Hand verschiedener Theorien ein eigenes Urteil bilden. Tatsächlich ist das Herz, das in der traditionellen Symbolik für Liebe, Hochzeit, Fruchtbarkeit usw. steht, kein spezifisches „Klo-Symbol“. Es ist vielmehr als dekoratives Element auf vielfältigen Objekten wie Fensterläden, Möbeln, Textilien oder Keramik zu finden. Als Lichtöffnung in Aborttüren kam das Herz bei Weitem nicht so häufig vor wie wir heute glauben möchten – dennoch ist das traditionelle, wenig hygienische „Plumpsklo“ als liebenswertes „Herzhäuschen“ Teil der kollektiven, nostalgisch verklärten Erinnerung geworden. 

Abortnischen mit eingebautem Fallschacht im Mauerwerk oder außen angebaute Aborterker gab es auf Burgen, Schlössern und Herrensitzen sowie in „besseren“ städtischen Häusern, auf dem Lande kamen sie nur auf wenigen größeren Höfen vor. Die Entsorgung der Fäkalien erfolgte „im freien Fall“ – aus dem unten offenen Aborterker fielen sie in den Burggraben, die Hausgräfte oder eine Kloakengrube. 

Beispiele im Freilichtmuseum sind das Pastorat aus Allagen mit einem zweigeschossigen Aborterker an der Hausecke oder der zeitweilig bewohnte Speicher aus Etteln von 1576 am Kirchhof im Paderborner Dorf. An diesem Gebäude wurde, passend zum Themenjahr, ein „Hängeabort“ der Zeit um 1600 nach Bauspuren am Gebäude und einem erhaltenen Vorbild aus dem Münsterland rekonstruiert.

An der Schule aus Thöningsen wurde das leidliche Thema “Schultoiletten” aufgegriffen. 

Noch um 1890 gab es an vielen Landschulen überhaupt keine Toiletten – und die Schulkinder mussten sich an Straßengräben oder im Gebüsch erleichtern, wie lippische Amtsärzte entsetzt berichteten: "Der größte Mangel aber ist, daß absolut kein Abort da ist. Die Kinder setzen sich einfach an den Weg, Knaben und Mädchen durcheinander, und verrichten ihr Bedürfniß. Das muß anders werden.“

Auf vielen Höfen und Kotten gab es in früheren Jahrhunderten überhaupt keinen Abort, dort mussten sich die Bewohner in den Stall oder an den Misthaufen begeben, um ihre Notdurft zu verrichten. Häufig ging man auch ins Freie und „schlug sich in die Büsche“, dabei setzte sich mancher schon mal schmerzhaft „in die Nesseln“. Daran erinnerte eine Geländestation vor dem Lippischen Meierhof, auf dem es tatsächlich keinen Abort gibt. Viele Bauernhäuser hatten eine unauffällige Tür an der Schlafkammer, durch die man nachts nach draußen gelangen konnte, um sich im Gebüsch zu erleichtern.