Themenschwerpunkt

Erzähl mir was vom Pferd

Im Galopp durch die Kultur Westfalens - das Themenjahr 2020

Wenn wir unsere Museumsgäste fragen, können uns viele eine Geschichte über Pferde erzählen. Das merkte man spätestens an den Ausrufen in der Sonderausstellung 2020, wie: „Oh, so eine Hufschmiede gab es noch bei mir im Dorf!“ oder „Als ich noch geritten bin …“. Nicht ohne Grund ruft daher der Titel der Ausstellung zu einem gegenseitigen Austausch auf. „Erzähl mir was vom Pferd!“ versammelt Einblicke in den Alltag von Mensch und Pferd in Westfalen zu einem Kaleidoskop gegenwärtiger Alltagskultur.

Die Idee zu einer Fotoausstellung entstand 2018 zusammen mit dem LWL-Medienzentrum für Westfalen. Das Medienzentrum ist, wie das Freilichtmuseum auch, ein wichtiger Akteur für die Dokumentation und Vermittlung der Alltagskultur in Westfalen-Lippe. Den Auftakt eines großangelegten Dokumentationsprojektes, bei dem ganz unterschiedliche Bereiche des Alltags fotografisch festgehalten werden sollen, bildete das „Pferdeland Westfalen“, bei dem es um die Vielfalt der Beziehungen zwischen Mensch und Pferd ging. Die Fotografin Tuula Kainulainen begab sich dafür von 2017 bis 2019 mit ihrem Team auf eine Reise zu den Menschen und ihren Pferden, ihren Berufen und Berufungen, zu Räumen und Landschaften. Mit großem Einfühlungsvermögen entstanden eindrucksvolle Serien der Gegenwart.

Welcher Ort wäre besser geeignet, einen Teil dieser Fotografien auszustellen als ein Museum, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, vom Aussterben bedrohte Tierrassen zu schützen und zu erhalten wie die Senner Pferde? Ein Ort, an dem das Arbeiten mit Kaltblutpferden in Kursen und Vorführungen gezeigt wird und Westfälische Kaltblüter die Besucher:innen transportieren? 

Doch das Team wollte noch mehr: In Zusammenarbeit mit dem LWL-Projekt „Kultur bewegt“, das sich die digitale Kulturvermittlung zum Ziel gesetzt hat, wurde die Erweiterung der Ausstellung um inklusive Vermittlungsangebote insbesondere für sehbehinderte und blinde Besucher:innen beschlossen. Die Inklusion sollte in allen Bereichen und auf allen Ebenen umgesetzt werden, um möglichst vielen Menschen einen Zugang zu öffnen.

Zur Online-Ausstellung

Objekte aus unserer Sammlung vom Pferd

Blick in die Ausstellung

Hallen und Halfter 

Der Besuch der Ausstellung begann mit einem Prolog: den Orten und Dingen, großen Hallen zum Zwecke der Haltung, der Reiterei oder der Zucht. Die Longierhalle mit ihrer markanten zirkularen Form, ein moderner Stall oder eine Sattelkammer waren zu sehen. Die Serie führte den Betrachter an den Ort des Geschehens und wies auf die Bedeutung der Pferdehaltung in Westfalen hin. Der Einstieg wurde ergänzt durch ein Originalobjekt zum Anfassen, einen Western-Reitsattel. Bei der Konzeption der Ausstellung wurde besonderes Augenmerk auf ein Mehr-Sinne-Prinzip gelegt und zu jedem Themenfeld ein passendes Tastobjekt ausgewählt. Die einzelnen Serien konnten zusätzlich über ein eigens konzipiertes Hörbuch erlebt werden, das sowohl die Stimmungen einfing als auch die Bilder beschrieb. Visuelle, auditive und haptische Reize ergänzten sich dabei und ermöglichten den Besucher:innen emotionale Zugänge auf allen Sinnesebenen.

Geduld, Gehorsam, Worte und Wärme

Viele Arbeiten, die früher mit der Muskelkraft eines Pferdes verrichtet wurden, haben im 20. Jahrhundert Maschinen übernommen. Trotzdem findet sich das Pferd noch in einigen Arbeitsfeldern an der Seite des Menschen wieder und hat Bedeutung in neuen Aufgaben gefunden. Das Kapitel begann mit der zarten Umarmung eines Pferdehalses und einem offenen, begeisterten Lächeln. In der Reittherapie helfen Pferde dabei, erkrankte und behinderte Menschen mit bestimmten Verhaltensweisen vertraut zu machen. Der Kontakt zu den Tieren soll die Teilnehmenden stärken: in ihrer Beweglichkeit, in ihrer Fähigkeit zu kommunizieren, im Umgang mit ihren Gefühlen und letztlich in ihrem Selbstbewusstsein. Diese Pferde müssen besonders ausgeglichen sein, um selbst in überraschenden Momenten Ruhe zu bewahren. Dasselbe gilt für die Polizeipferde der Landesreiterstaffel NRW. Für den Einsatz mit Menschen müssen sie regelmäßig trainieren, um auch in extremen Stresssituationen Anweisungen genau zu folgen. 

Gegenseitiges Vertrauen und vielfältige Kommunikation zeigten auch die Serien „Zügel und Zöpfe“ sowie „Worte und Wärme“. Bei der Bodenarbeit begegnen sich Mensch und Pferd auf Augenhöhe. Die Kommunikation findet über Körpersprache und einfache Kommandos statt. Auf dem Landgut Papenhausen porträtierte die Fotografin junge Mädchen, die gemeinsam lernen, Verantwortung für ein Pferd zu übernehmen. Es ist für Kinder eine gute Übung in Geduld und Disziplin. Neben der Versorgung mit Futter und dem Sauberhalten der Pferdebox ist die Fellpflege ein besonderer Moment zwischen Mensch und Tier. Dabei geht es nicht nur um das Säubern von Fell, Mähne und Hufen, es ist auch eine soziale Interaktion, um Zugehörigkeitsgefühle zu fördern. 

Leib und Leben 

Berufsfelder rund um das Pferd zeigte die Serie „Leib und Leben“: die Sattlerei, den Hufschmied, die Pferdeklinik oder die Pferdezucht. In der Sattlerei kommt es auf Genauigkeit an. Muskelbeschaffenheit, Rücken und der Widerriss des Pferdes müssen genau vermessen werden, damit der Sattel gut passt. So entsteht in Handarbeit eine Maßanfertigung für Pferd und Reiter. Ebenfalls in Handarbeit wird das Hufeisen zum Schutz der Pferdehufe angebracht. Der Schmied betrachtet zunächst den Gang des Pferdes und passt das Hufeisen optimal an. Bei Stellungsfehlern oder Hufkrankheiten setzt er Spezialbeschläge ein. Die Zucht ist auch für das LWL-Freilichtmuseum Detmold ein wichtiges Thema: seit 2001 beteiligt es sich mit zwei Zuchtstuten an der Erhaltung der vom Aussterben bedrohten Senner Pferde. 

 

Tempo und Tradition

Die Zucht in Deutschland orientiert sich vor allem am Bedarf an Sport- und Freizeitpferden. In der Serie „Sporen und Spannung“ wurden Wettkämpfe in den unterschiedlichsten Kategorien gezeigt, vom Dressurreiten bis zum Pferderennen. Besonders eindrucksvoll wurde das Pferd beim anmutigen Sprung oder in rasendem Galopp gezeigt. Aber auch Publikumsattraktionen wie die Hengstparade in Warendorf oder auch der Wildpferdefang in Dülmen hat Tuula Kainulainen porträtiert.

Die Ausstellung ist über ein Hörbuch erfahrbar.