Reservistenbild
Reservistenbild des Artillerie-Unteroffiziers Simon Krüger zur Erinnerung an seine Militärdienstzeit in der Artillerieschule Jüterbog. Die Fotomontage im Zentrum des Bildes zeigt Krüger von links nach rechts in Form von drei unterschiedlichen Soldatenfiguren: links im allgemeinen Waffenrock der preußischen Infanterie, mittig und rechts in der Paradeuniform der berittenen preußischen Feldartillerie. Die Zugehörigkeit Krügers zu diesem Truppenteil wird durch die mittige Figur als Reiter und durch das Geschütz im Hintergrund der rechten Figur bildlich hervorgehoben. Den Bildhintergrund füllt eine nicht zu verortende Phantasielandschaft mit romantisierenden Motiven. Ein Mittelgebirgszug fällt nach links in Richtung eines Flusses ab, an dem eine Burg mit zwei markanten Türmen steht. Gerahmt wird das zentrale Bild von gehäuften und ineinander verschlungenen nationalpatriotischen Motiven: Waffen, Harnische, Eichenlaub, Architekturelemente und Fahnen des Deutschen Kaiserreichs schließen das Zentralmotiv wahllos gestapelt zu den Seiten ab. Am oberen Bildrand stechen aus dieser Rahmung die Porträts dreier Reichsfürsten (v.l.n.r.: (vermutlich) Luitpold von Bayern, Wilhelm II. als König in Preußen und Deutscher Kaiser und Albert von Sachsen) heraus. Am unteren Bildrand werden diese Porträts durch die Wappen Bayerns, des Kaiserreichs und Preußens und Sachsens gespiegelt. Das erläuternde Inschriftenprogramm findet sich auf drei Ebenen des Bilds. Über den Soldatenfiguren in der Bildmitte deutet der ungelenke Reim, "Es lebe hoch das Regiment, dass sich mit Stolz das Einzige nennt", den Charakter des Druckes als Massenprodukt an. In anderen Exemplaren des Motivs findet sich an der Stelle des Wortes "Einzige" die Regimentsnummer oder der Name der Einheit. Unterhalb der Wappenreihe wird in einer Banderole durch die Inschrift: "Zur Erinnerung an meine Dienstzeit" die Hauptfunktion des Bilds als Erinnerungsstück angesprochen, während der untere Bildrand mit dem Namen des Auftraggebers, seiner Einheit und deren Garnisonsort und der Dienstjahre die personelle, zeitliche und lokale Verortung des Dargestellten ("Simon Krüger. 4.Lehr-Batterie der Feld Artillerie Schiessschule (Jüterbog) 1895/97") liefert.
Mit dem sehr weiten Begriff "Reservistenbild" werden unterschiedliche Bilder bezeichnet, die für Soldaten der deutschen Armeen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Erinnerung zum Ende ihres üblicherweise zwei Jahre dauernden Militärdienstes angefertigt wurden. Sowohl die Darstellungen als auch die Herstellungsweise der Bilder und damit ihre künstlerische Qualität unterscheiden sich erheblich. Mit der preiswerten Verfügbarkeit von Porträtfotografien ab den 1860er Jahren begann sich der dargestellte Typ "Reservistenbild" durchzusetzen. Der Bildaufbau dieser industriell vorproduzierten Drucke (Chromolithografie) folgt dabei immer dem gleichen Schema: eingerahmt von national-patriotischen Symbolen sind in der Bildmitte die Körper von drei Soldatenfiguren in unterschiedlichen Uniformen und mit den je nach Waffengattung passenden Ausrüstungsgegenständen dargestellt. Auf diese Figuren wurden durch Fotomontage die (aus echten Fotografien ausgeschnittenen) Gesichter der Auftraggeber aufgeklebt. Zusammen mit der Bildunterschrift waren dies der einzige individuelle Bezugspunkt der Bilder. Hergestellt wurden die farbigen Vordrucke durch eine Vielzahl darauf spezialisierter Verlage, die ihre Vorlagen an niedergelassene Fotografen in den Garnisonsorten verkauften. Hier erfolgte die Endmontage durch den Fotografen, der die Figuren mit den zuvor aufgenommenen Gesichtern zusammenfügte, handschriftliche Ergänzungen der Inschriften vornahm und das Bild abschließend rahmte. Der Hauptzweck der Bilder bestand darin, den ehemaligen Soldaten, jetzigen Reservisten und dessen Angehörige an die "Dienstzeit" zu erinnern. Die romantisierend-patriotisch überladene Bildsprache und die statische Darstellung der Vorlagen verklärten das "Soldatenleben" zu einer glanzvollen Lebensphase. Für den vielfach belegten stumpfsinnigen Drill und die Prügelstrafen der Rekrutenausbildung war in den Reservistenbildern kein Platz. Das Reservistenbild erfreute sich bis in die Vorkriegsjahre des Ersten Weltkriegs großer Beliebtheit. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Neben der Möglichkeit eine preiswerte Erinnerung an eine gesellschaftlich hoch bewerteten Lebensphase zu erhalten, dürfte hier auch der rituelle Charakter der Bildbestellung und -anfertigung, die das Dienstzeitende eines Jahrgangs markierten, eine Rolle gespielt haben. Spätestens mit Beginn des Krieges 1914 verschwand der beschriebene Typ des Reservistenbilds vollständig. Neben den politischen und strukturellen Veränderungen scheint auch die beschönigende, saubere Bildsprache der Reservistenbilder nicht mehr als Ausdruck der Wirklichkeit eines alle Grenzen des Bekannten sprengenden Krieges empfunden worden zu sein.